KITSCHKRIEG - KITSCHKRIEG
Ich weiß noch genau, wie es sich angefühlt hat. Jeder, der da war, weiß das, und es waren ja alle da, zumindest die, die immer da sind. Die Schlange vor dem Prince Charles ging bis zur Straße, die Kapuzen tief ins Gesicht, weil Winter war und die Luft kalt. Alle wollten Gästeliste rein, Standard: ein Donnerstagabend in Kreuzberg. Und doch war etwas anders an diesem Abend. Es war diese Aufregung in der Luft, dieses Gefühl von heute Nacht und ganz genau hier. Die Energie war überall, hinten im kleinen, cola verklebten Backstageraum, wo jemand allen Ernstes versuchte, eine Setlist zu verteilen, und vorne bei den, naja, Fans. Da waren tatsächlich: Fans. Die oben auf dem kleinen Podest – das sich damals, im Dezember2016, wie die ganz große Bühne anfühlte – wirkten ein wenig überfordert. Die unten im Clubaber waren glücklich und ein bisschen stolz: eine wilde Gemengelage aus Ekstase, Zusammensein und dem diffusen Gefühl von Gerechtigkeit. Hier gewinnen gerade die richtigen, und ich bin ein Teil davon. Wir sind alle ein Teil davon.
Man sei Teil einer Jugendbewegung geworden, schrieb am nächsten Morgen jemand ins Internet. Das ist nicht ganz richtig. An diesem Abend, an dem KitschKrieg erstmals zusammen ihre Musik aufführten, ist mehr entstanden als eine Jugendbewegung. An diesem Abend ist Hoffnung entstanden.
Nichts und niemand sonst hat in den letzten Jahren mehr Eindruck auf die Musikkultur in diesem Land hinterlassen als KitschKrieg. Der reduzierte Sound. Die Bilder in Schwarz und Weiß. Das DIY-Ding. Diese ganze Idee, selten ein Gesicht, dafür umso mehr von sich selbst zu zeigen. KitschKrieg haben nie mehr gesagt, als nötig war, und wahrscheinlich ist genau das der Grund dafür, dass ihnen alle zuhörten. Ihre Songs sind geblieben, fast wie zum Trotz. Es gibt inzwischen ja dieses Ritual, immer wieder donnerstags, wenn man um 23:59 Uhr die neue Musik checkt und dabei alles Mögliche findet, nur keine neue Musik. KitschKrieg haben an dieser zynischen Tombola um Positionen, Plays und Parra nie teilgenommen. Sie haben einfach nur die Musik gemacht, die sie in sich gefunden haben, als es um sie herum so leise war, dass man sie nicht mehr überhören konnte. Damit schafften sie es auf Platz eins der Charts, bekamen Platin und die Preise, die man so bekommen kann. Es war bestimmt nicht ihr Plan. Aber sie haben gezeigt, dass es gehen kann. Sogar dann, wenn wirklich gar nichts mehr geht.
KitschKriegs erstaunlicher Weg vom WG-Projekt zum wichtigsten Phänomen der jüngeren deutschen Popgeschichte ist inzwischen wohl dokumentiert. Sie haben ihn in zahlreichen Interviews nacherzählt, von Symbiz und SoulForce, von Braunschweig und Krefeld und Köln nach Kreuzberg, dorthin, wo die Welt ist. Man kennt auch die Bilder: Splash! schwarz-weiß, alles schwarz-weiß. Trotzdem bleiben sie auf eine merkwürdige Weise irreal, so unwahrscheinlich war und ist dieser Siegeszug. Vor allem das Bild vom Splash! 2019 wird bleiben: ein ganzes Festival vor einer Bühne, eine gigantische, ganz und gar entwaffnende Entladung ehrlich empfundener Liebe. Es konnte zwar niemand präzise benennen in dieser Nacht, aber dafür konnten es alle ganz genau spüren: dass hier etwas Besonderes passiert ist. Nachdem Trettmann zum Star wurde, hätten seine Produzenten ziemlich genau alles machen können, was die sogenannte Industrie so hergibt, gerne auch mit einer zusätzlichen Null hinter dem Komma. Aber Freiheit hat viel damit zu tun, sich den Vorstellungen und Erwartungen Anderer zu entziehen. KitschKrieg haben sich das alles angesehen und dann beschlossen, ihr eigenes Album zu machen. Weil sie sich immer schon jeder Lieferlogik entzogen und eher wie eine Band gedacht haben – wenn auch in der ungewöhnlichen Besetzung Laptop, Levels, Linse und kollektive emotionale Oberaufsicht.
In einem unserer vielen Gespräche darüber, wie es weitergehen kann, wenn man plötzlich am Ziel ist, hat mir Fizzle einmal gesagt, das KitschKrieg-Album sei “die Essenz dessen, was man in den letzten Jahr gelernt hat” und gleichzeitig “der nächste Schritt”. Ich glaube, er hat in dem Augenblick nicht groß darüber nachgedacht. Es war eher eine Antwort aus Verlegenheit, aus der Perspektive dieser leicht unscharfen Phase, in der die Puzzlestücke langsam zueinander finden, sich alles zu fügen und man zu fühlen beginnt: dass hier wieder etwas Besonderes passiert. Dennoch ist viel Wahrheit in diesen Worten. “KitschKrieg” ist in vielerlei Hinsicht, was KitschKrieg immer schon gemacht haben. Aber ist es intensiver, tiefer irgendwie, auch radikaler: der Rausch heftiger, der Blues finsterer. Es gibt ein paar neue Akzente, eine lose Rave-Energie zum Beispiel, die sich durch viele der Song zieht, und einpaar Gastmusiker, die man in ihrem Kosmos eher nicht erwartet hätte: Nena, Bilderbuch, Modeselektor, Jan Delay auf Autotune oder der verdammte World Boss höchstpersönlich. Die essentiellen Fragen aber sind dieselben geblieben, seit der WG, seit “KK1”: Wenn Quincy Jones oder Bob Dylan über die DNS eines guten Songs nachdenken, was heißt das für uns? Und was ist möglich, wenn man sich traut, das wirklich zu Ende zu denken, es zumachen?
Man braucht da nicht drumherumreden. KitschKrieg sind in die Phase eingetreten, in denen typischerweise die Vorschüsse und die Kompromisse rein kicken, die Musik irgendwie besser und gleichzeitig egaler wird. Es ist vielleicht ihr größter Verdienst, dass sie sich dieserDynamik einfach verweigert haben. Freiheit hat auch damit zu tun, die vermeintlich vernünftigen Entscheidungen nicht zu treffen und stattdessen ein bisschen genauer hinzugucken. Musik und die Arbeit daran hatten immer eine therapeutische Wirkung fürKitschKrieg, in einem sehr handfesten Sinn: die täglichen Abläufe im Studio, das Definieren und Justieren von Prozessen, die ständige Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen. Was ist das eigentlich, was wir hier machen? Und was soll es werden, wenn es fertig ist? Es hat in Deutschrap-Deutschland schon viele Produzentenalben gegeben. Ein paar waren ganz gut, viele eher schlecht, die allermeisten einfach komplett egal: ein paar Beats und ein paar Freunde, die halt gerade Zeit und ein paar Reime übrig hatten. Auf “KitschKrieg” dagegen ist jeder Song im wahrsten Sinne des Wortes essentiell: der Wesenskern eines Moments, eines Genres, einer Idee. Geiler Rapscheiß unter den Vorzeichen von Grime und Trap. Das Gipfeltreffen von Peter Fox und seinem Statthalter im Streaming jetzt, Trettmann. Der perfekte Popsong über das Ungeheuer unter deinem Bett, vor dem du nur so lange Angst hast, bis du es umarmst. Das Feature, das Drake nicht bekommen hat. Asoziale Gangstamucke, die noch asozialer ist als all die andere asoziale Gangstamucke da draußen. Ein utopisches Liebeslied, das alles Komplizierte aus der kompliziertesten Sache der Welt nimmt. Die helle Seite der Macht. Die dunkle Seite der Nacht. All das klingt leicht und heavy und so selbstverständlich wie wenig sonst in diesem Land, das immer schon gerne kopiert und in all der Formtreue das eigentliche Thema verfehlt hat. “KitschKrieg” ist Musik über die Welt und ein bisschen auch über KitschKrieg selbst: in vielen, vielen Runden verdichtet, auseinandergenommen und so rekonstruiert, dass es neuen Sinn stiftet.
Kleiner Witz: Treffen sich Walter Gropius, Rick Rubin und King Tubby im Görli. Sagt der eine… Okay, ernsthaft jetzt: Die Klischees von Bauhaus und neuem Bauen, Minimalismus und dem Mischpult als Instrument sind oft benutzt und mindestens genauso häufig missbraucht worden. In der Kunst von KitschKrieg aber laufen diese kulturellen Traditionslinien tatsächlich auf sehr natürliche Weise zusammen. °Awhodat°, Fiji Kris und Fizzle haben diesen Gedanken immer hochgehalten: dass eine Idee besondere Kraft entfaltet, wenn sie von allem Beiwerk und Ballast befreit ist, wenn eine Bassline direkt in den Magen und ein Wort direkt ins Herz ballert. Auf “KitschKrieg” denken sie diesen Gedankenkonsequent zu Ende. Einflüsse von Dub bis Drill, Afrobeats bis Afterhour treffen auf zeitloses Songwriting und ein radikales Gebot zur maximalen Reduktion: digitale Soundsystemmusik mit der Energie von Trap und Techno, voll subtiler Melancholie und einem unbeirrbaren Glauben an das musikalische Weiter.
Es ist ein Mittwochabend im Mai. Draußen ist es still, Corona hat sogar Kreuzberg lahmgelegt. Drinnen wummert, ein bisschen zu langsam, eine Art Reggaeton-Dub-Riddimdurch den Raum, der an diesem Abend noch isolierter wirkt, als Studios es ohnehin tun. Es sind unwirkliche Wochen, in denen alles plötzlich aufhörte, nur – natürlich – nicht die Musik. Ich blicke mich um. Mir fällt auf, wie karg der Raum ist. Zwei sorgsam kalibrierte ATC-Boxen, ein Tisch, darauf ein Laptop, dazu eine Ledercouch für Gäste, von denen ganz offensichtlich nicht viele kommen. Es gibt keine Memorabilia, einzig auf dem Boden neben dem Sofa lehnt gleichgültig irgendeine Goldenen an der Wand, als hätte sie jemand vergessen. Der Raum könnte kalt wirken, aber die Musik macht ihn warm: diese Idee, wie sich Geschichte weiterspinnt. Die Soundsystems in Kingston. Der Beat, der nach Panama,Puerto Rico und Kolumbien kam und schließlich um die Welt ging, weil es das Internet undMillionen Raver so wollten, bis nach Kreuzberg. Er klingt wie eine Erinnerung und gleichzeitig komplett neu. Boom-ch-boom-chick. Clash und Klarheit, Seele und Struktur,Loops und Leben, ewige Nacht und neues Licht. Weil es immer weitergeht. Let’s push thingsforward. Standard.